Adam Thirlwell: „Übersetzer sollen Neues schaffen“

Der berühmte und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Autor und Literaturwissenschaftler Adam Thirlwell gibt in diesem Interview Antworten auf die Problematik der Übersetzungen seiner Romane. Einige wurden bereits in 30 Sprachen übersetzt und welche interessanten Gespräche er mit den jeweiligen Übersetzern führte, das erfahren Sie hier.

Die „Zeit“ veröffentlichte dieses sehr kurzweilige Interview mit dem britischen Autor Adam Thirlwell. Inzwischen wurden einige seiner Romane bereits in über 30 Sprachen übersetzt und teilweise trieben seine mehrdeutigen Anspielungen in englischer Sprache die Übersetzer in die Verzweiflung. In diesem Interview spricht er über den Reiz und die Schwierigkeiten von Übersetzungen.

Adam Thirlwell:„Übersetzer sollen Neues schaffen“

Das „Times Magazine“ nannte Adam Thirlwell „das Wunderkind der britischen Literatur“. Im Interview spricht er über den Reiz und die Schwierigkeiten von Übersetzungen.

Von Kaspar Heinrich

ZEIT ONLINE: Mister Thirlwell, welche Fremdsprachen beherrschen Sie?

Adam Thirlwell: Französisch spreche ich genauso gut wie Englisch. Vor ein paar Jahren konnte ich auch Russisch fließend sprechen, jetzt nicht mehr. Im vorigen Jahr habe ich Deutsch gelernt, aber mein Deutsch ist grässlich. Mein Spanisch auch. Im Grunde spreche ich also nur eine Fremdsprache. Ich lerne ständig neue, und scheitere jedes Mal.

ZEIT ONLINE: In welchen Sprachen trauen Sie sich zu, Literatur zu lesen?

Thirlwell: Auf jeden Fall auf Französisch, auch auf Russisch. Spanisch halbwegs, weil es eine Kombination aus Französisch und Latein ist. Auf Deutsch kann ich einen Artikel lesen, aber keine Literatur. Daniel Kehlmann, mit dem ich befreundet bin, schickt mir zwar seine Bücher auf Deutsch und ich verspreche ihm jedes Mal, sie auch auf Deutsch zu lesen. Aber am Ende lese ich sie doch in der englischen Übersetzung.

ZEIT ONLINE: Ist eine Übersetzung Fluch oder Segen?

Thirlwell: Sie ist eine merkwürdige Kunstform. Denn jeder große Roman existiert in Gestalt einer Übersetzung. Kunst tut das nicht. Wenn ich mir die Mona Lisa ansehe, ist es dieselbe, die auch ein Franzose sieht. Wenn er allerdings Madame Bovary liest, stimmt nicht ein Wort mit dem überein, was ich lese. Und trotzdem reden wir von demselben Buch. Das erscheint mir die grundsätzliche Absurdität, mit der wir seit 500 Jahren leben.

ZEIT ONLINE: Ihre Romane wurden in 30 Sprachen übersetzt.

Thirlwell: Und manchmal bekomme ich viele Fragen von den Übersetzern. Mein erster Roman war sexuell sehr explizit. Mancher Übersetzer hatte Probleme, die obszönen Passagen direkt zu übertragen. Im Englischen kann man nämlich sehr obszön klingen und gleichzeitig immer noch kultiviert und elegant. Mein niederländischer Übersetzer sagte, das klänge furchtbar in seiner Sprache. Viel provokanter. Ich schreibe in diesem merkwürdigen Ton, teils ironisch, teils ernsthaft. Wenn ich manche Übersetzung lese, merke ich, dass sie diese bestimmte Sanftmut im Ton verloren hat. Darauf achte ich am meisten bei meinen Romanen und auch bei den Essays: Auf die Erzählstimme, auf den Tonfall. Keine Ahnung, ob zum Beispiel die koreanische Version charmant klingt oder nicht. Vielleicht klingt sie ja ganz schrecklich.

ZEIT ONLINE: Was macht eine gute Übersetzung aus?

Thirlwell: Oh Gott, das ist eine gewaltige Frage. Ich glaube, wenn man das Schriftsteller fragt, werden sie weniger auf die Bedeutung der einzelnen Wörter fixiert sein als auf die Musikalität des Textes oder auf Wortspiele. Ich selbst streite mich auch häufig mit meinen Übersetzern über diese Dinge. In gewisser Weise versucht man mit einer Übersetzung ja, einen Ersatz zu schaffen – aber ganz offensichtlich kann es nie wirklich einer sein. Man kann nie alles übersetzen, es gibt keine Chance, eine perfekte Kopie herzustellen. Die wirklich guten Übersetzer sind auch immer richtig gute Leser, sie kennen die Essenz des Textes.

ZEIT ONLINE: Was unterscheidet heutige Übersetzungen von denen, die vor 200 Jahren entstanden sind?

Thirlwell: Früher waren Übersetzungen sehr frei und ein bisschen verrückt. Eine der großen Übersetzungen ins Englische war die der Texte des Franzosen François Rabelais. Sie wurden massiv verändert. Wenn sie heute von einem großen Verlag veröffentlicht würden, gäbe es viele Beschwerden, die Leute würden sagen: Das steht so nicht im Original. Es geht jetzt viel mehr als früher darum, Experte in einer Sprache zu sein. Das Ideal einer korrekten Übersetzung bedeutet heute, keine schlimmen Fehler in der Wortbedeutung zu machen. Aber es gibt auch wortgetreue Übersetzungen, die schlecht sind. Das kann also nicht das einzige Kriterium sein. Bei Lyrik gibt es eher eine Tradition von kreativen Übersetzungen, die dann zwar nicht semantisch perfekt sind, dafür aber in anderer Hinsicht.

ZEIT ONLINE: Vladimir Nabokov verlangte von Übersetzungen absolute Wortwörtlichkeit.

Thirlwell: Mein Buchprojekt war der Versuch, ihn zu widerlegen und zu zeigen, dass dieses Ziel eigentlich verrückt ist: Denn es gibt keine perfekte Übersetzung. Zumal Nabokov sich große Freiheiten erlaubt hat, wenn er seine eigenen Texte aus dem Russischen ins Englische übersetzt hat. Es geht also auch um eine ethische Frage, nach dem Motto: Ich darf mit meinen eigenen Romanen tun, was ich will – andere Übersetzer aber nicht. Ich halte diese Unterscheidung für weniger plausibel, als Nabokov das tat.

ZEIT ONLINE: Gibt es Fälle, in denen eine Übersetzung besser ist als das Original?

Thirlwell: Ja, das beste Beispiel sind die Gedichte von Edgar Allan Poe. In Großbritannien gelten sie immer noch als zweitklassig, als ein wenig zu kitschig. Aber in Frankreich nimmt man sie sehr ernst, durch die Übersetzungen von Baudelaire und Mallarmé. Sie wurden zu etwas völlig Neuem. Es gibt eine berühmte Passage, als Poe über den imp eines Perversen schreibt. Ein imp ist im Englischen eine Märchengestalt, so etwas wie ein Kobold. Baudelaire hat den imp als démon übersetzt, als Dämon also. Das ist eine Verbesserung, denn Baudelaire betritt damit einen metaphysischen Bereich, er bringt einen philosophischen Aspekt hinein, der im Original nicht sichtbar ist. Ich bin mir sicher, der französische Poe ist der bessere Schriftsteller. Erlauben Sie noch ein anzügliches Beispiel?

ZEIT ONLINE: Sicher.

Thirlwell: Es gibt bei Flaubert eine Szene, in der er in Ägypten von einer Prostituierten befriedigt wird. Als es um die deutsche Übersetzung ging, tauchte diese wunderbare Redewendung auf: „jemandem einen von der Palme schütteln“. Das passt so gut in den Kontext, zu diesem exotisch-sexuellen Zusammentreffen im Orient. Auch das war also gewissermaßen eine Verbesserung des Originals.

ZEIT ONLINE: In Ihrem Buch benutzen Sie den Ausdruck der dritten Sprache. Was meinen Sie damit?

Thirlwell: In meinem größenwahnsinnigen Plan, eine neue Welt der Literatur zu erfinden, hielt ich die dritte Sprache für ein nützliches Werkzeug. Wir sprechen bei Übersetzungen immer nur von der Ausgangssprache und der Zielsprache. Einige meiner liebsten Autoren haben aber eine dritte Sprache gebraucht: Von den Werken des albanischen Schriftstellers Ismail Kadare gibt es keine direkten Übersetzungen ins Englische. Sie wurden über den Umweg des Französischen übersetzt. Es ist nicht dasselbe wie eine direkte Übersetzung von einer in die andere Sprache. Aber es ist auch kein echtes Problem. Kadares Stil macht mehr aus. Der Aufbau seiner Romane, die Atmosphäre, die er schafft. Ich mag das Prinzip der dritten Sprache. Besser eine schiefe Übersetzung als gar keine. Es gibt diese despotische Einstellung, dass man eine Sprache perfekt beherrschen muss, um sie übersetzen zu dürfen. Gegen diese Haltung will ich ankämpfen: gegen diese Engstirnigkeit und den Zwang zum Expertentum.

ZEIT ONLINE: Ihr neues Buch heißt im englischen Original Miss Herbert und ist benannt nach einer englischen Angestellten im Hause Flauberts. Was war so besonders an ihr?

Thirlwell: Sie ist für mich ein Sinnbild für die Unmöglichkeit der perfekten Übersetzung. Aus Briefen weiß man, dass Juliet Herbert Madame Bovary ins Englische übersetzt hat. Vom Manuskript fehlt heute aber jede Spur. Flaubert und Miss Herbert wurde eine enge Bindung nachgesagt, vielleicht gab es sogar eine Liebesbeziehung zwischen ihnen. Die Übersetzung, die ein Schriftsteller von seiner Geliebten anfertigen lässt, sollte doch gewissermaßen die ideale Übersetzung sein. Dass sie heute nicht mehr existiert, fühlte sich wie eine Metapher für das an, worüber ich schreiben wollte.

ZEIT ONLINE: Und das wäre?

Thirlwell: Ich wollte gegen die Meinung anschreiben, dass Übersetzungen etwas Fehlerhaftes sind. Wenn man über sie diskutiert, geht es immer um deren Makel und Probleme. Ich will zeigen, dass eine imperfekte Übersetzung immer noch eine gute und wirkungsvolle sein kann. Sie ist nicht einfach nur eine Kopie, sie ist ein zweites Original.

ZEIT ONLINE: Auch Ihr Buch selbst hat verschiedene Versionen erlebt.

Thirlwell: Stimmt, und ich mag diese Idee. Das Original wurde 2007 in Großbritannien veröffentlicht, jetzt ist die Übersetzung in Deutschland erschienen. Der neue Titel, Der multiple Roman, war anfangs ein Witz: Einerseits ist das Thema des Buches der multiple, also vervielfältigte Roman. Aber zugleich ist das Buch selbst ein multipler Roman, weil es eine frühere Version davon gibt.

Hier geht es weiter zum Originalartikel in der „Zeit Online“.

Zum Autor Adam Thirlwell

Adam Thirlwell wurde 1978 in London geboren. Er studierte Anglistik in Oxford und lebt noch heute in London und ist als freier Schriftsteller tätig. Bisher hat er mehrere Romane veröffentlicht, zu denen „Grell und Süß“, „Der multiple Roman“, „Flüchtig“ und „Strategie“ zählen. Für seine Studie über die internationale Poetik des Romans und die Kunst der Übersetzung wurde er mit dem Somerset Maugham Award ausgezeichnet. 2003 war er auf der »Granta’s List of Best Young British Novelists«. Seine Romane wurden bisher in 30 Sprachen übersetzt. Er schreibt regelmäßig für den Guardian, die New York Times, Le Monde, The New Republic und die New York Review of Books.